Ärzte und AOK sehen zielgenaue und adäquate Behandlung von Patienten in Gefahr

11. Dezember 2019

Die Allianz Deutscher Ärzteverbände und der AOK-Bundesverband warnen davor, dass zahlreiche Verträge zur besseren Versorgung von Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen durch geplante Änderungen der gesetzlichen Vorgaben gefährdet sind. Mit dem „Gesetz für einen fairen GKV-Kassenwettbewerb“ (GKV-FKG) sollen Verträge zwischen Ärzten und Kassen, in denen bestimmte Krankheits-Diagnosen als Voraussetzung für Vergütungen genannt werden, künftig generell für unzulässig erklärt werden.

„Trotz aller Warnungen und Proteste sind die problematischen Regelungen auch in der jüngsten Fassung des Gesetzentwurfes enthalten. Sie greifen drastisch in die Gestaltung bestehender, aber auch künftiger Versorgungsverträge ein“, sagt Dr. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von MEDI GENO Deutschland und Vertreter der Allianz Deutscher Ärzteverbände in einem gemeinsamen Pressegespräch mit der AOK. „Es besteht die Gefahr, dass besonders innovative Versorgungskonzepte künftig schlicht unmöglich gemacht werden.“

Genaue Diagnosen sind notwendig
Die Ärzteverbände teilten das Anliegen des Gesetzgebers, dass es für Ärzte keine gesonderte Vergütung für die Dokumentation spezifischer Diagnosen ohne entsprechenden Leistungsbezug geben dürfe. Mit den geplanten Änderungen schieße der Gesetzgeber aber deutlich über das Ziel hinaus: „Hier wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“, so Baumgärtner. „Wenn ein Versorgungsvertrag mit den Krankenkassen eine zielgenaue und adäquate Behandlung der Patienten erreichen soll, brauchen wir auch weiterhin die Möglichkeit, dass in diesen Verträgen die Diagnosen möglichst genau beschrieben werden.“

Viele Versorgungsverträge gefährdet
Die AOK schließt sich der Forderung der Ärzte an: „Vergütungen für Leistungen, die aus medizinischen Gründen nur für Patientengruppen mit bestimmten Krankheiten vereinbart werden, sollten weiter zulässig sein“, sagt der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. Wenn der Text des GKV-FKG an dieser Stelle nicht geändert werde, seien zahlreiche regionale Versorgungsverträge gefährdet, die die AOK in den letzten Jahren mit ihren ärztlichen Vertragspartnern entwickelt und erfolgreich umgesetzt habe. Als Beispiele nennt er ein Versorgungsprogramm der AOK Sachsen-Anhalt für Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen oder das Facharzt-Programm der AOK Baden-Württemberg. Auch regionale Verträge für Patienten mit Lungen-krebs, Diabetischem Fußsyndrom oder mit psychischen Erkrankungen seien betroffen.

Vorwurf der Manipulation bis heute nicht belegt
„Die genaue Definition der Diagnosen und der erforderlichen medizinischen Maßnahmen sorgt dafür, dass eine faire und aufwandsgerechte Vergütung der Ärztinnen und Ärzte vereinbart werden kann“, betont Litsch. Er verwahre sich gegen die Behauptung, dass Ärzte und Kassen diese Verträge nutzten, um gemeinsam systematisch Patienten-Diagnosen zu manipulieren. „Diese Behauptung ist bis heute nie belegt oder gerichtlich dingfest gemacht worden. Und ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass Ärzte für ein paar Euro bewusst Diagnosen manipulieren und ihre Patienten auf dem Papier kränker machen, als sie sind“, so Litsch.

Auch die Bundesländer hätten in ihrer Stellungnahme zum GKV-FKG Nachbesserungen bei den geplanten Regelungen gefordert. „Sie sind in der Gegenäußerung der Bundesregierung in Bausch und Bogen abgelehnt worden – mit der Begründung, dass die Angabe von Diagnose in den Verträgen weiter möglich sei. Das muss im Gesetzestext klargestellt werden“, fordert Litsch.

Baumgärtner weist darauf hin, dass laut der Begründung zum Gesetzestext weiter Vergütungen für bestimmte Krankheiten möglich sein sollen, sofern sie an die Kapitel oder Obergruppengliederungen des internationalen Systems zur Klassifizierung von Krankheiten (ICD) oder an einen „allgemeinen Krankheitsbegriff“ anknüpfen. „Diese scheinbare Entschärfung ist aber bei näherer Betrachtung gar keine, weil sie nicht greift“, kritisiert er und verdeutlicht dies an einem Beispiel: „Wenn man in einen Vertrag zur Versorgung von Diabetikern nur die ICD-Obergruppe Diabetes mellitus hineinschreiben darf, bleibt völlig unklar, welche Form des Diabetes gemeint ist. Denn unter diese Obergruppe fallen sowohl Diabetes mellitus Typ 1 als auch Diabetes mellitus Typ 2. Das sind zwei völlig unterschiedliche Krankheiten, die verschiedene Ursachen haben und unterschiedliche Patientengruppen betreffen“, so Baumgärtner.

Er warnt vor einem „versorgungspolitischen Rückschritt“ durch die geplanten Änderungen: „Wir appellieren an den Gesetzgeber, die notwendigen Innovationspotenziale und Gestaltungsspielräume für eine evidenzbasierte Versorgungs- und Vertragsgestaltung zum Wohle der Patienten zu erhalten und weiter zu stärken.“

 

In einer Resolution hat sich die Allianz Deutscher Ärzteverbände schon Anfang September gegen ein Verbot von spezifischen Behandlungsdiagnosen als Voraussetzung für Leistungsvergütungen ausgesprochen. Initiatoren der Resolution sind der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI), die Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände (GFB), der Hartmannbund, MEDI GENO Deutschland, der NAV-Virchow-Bund sowie der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa). Unterstützt wird sie zu dem vom Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK), vom Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) sowie vom Deutschen Hausärzteverband.

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